20.07.1997 MEHRWERT e.V.
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inhalt selbst Über Mehrwert
Pressespiegel
Radiobeitrag im Bürgerfunk Köln, 21. Juli 1996
Der Aachener Kunstverein Mehrwert

Die öffentlichen Kassen sind leer. Städte und Gemeinden ziehen sich mehr und mehr aus der Kulturfinanzierung und Kunstförderung zurück. Sponsoren stecken ihre Gelder nur noch in prestigeträchtige Großprojekte. Wichtiger denn je ist deshalb die Arbeit freier Kulturinitiativen.
Ohne sie sähe das Kulturangebot so mancher Städte mager aus. Der junge Aachener Kunstverein Mehrwert bietet Künstler, Ausstellungsmachern und Kunstinteressierten ein Ideen- und Organisationsnetzwerk.

Ein Schritt voraus

"Ein Schritt voraus" lautet der Titel der Veranstaltung, mit der der Aachener Kunstverein Mehrwert e.V. zum ersten Mal in die Öffentlichkeit trat. Dies geschah im Dezember 1993. Zu HipHop und Jazz durfte im Autonomen Zentrum das Tanzbein geschwungen werden. Ein neuer Tanzklub, der seine Veranstaltungen als Kunst ausgibt? Keineswegs.

Ein Blick in die Satzung des Mehrwert Kunstvereins gibt Auskunft über die Ziele. Zweck des Vereins ist die Förderung der Kunst. Er will damit das kulturelle Angebot in Aachen und der Euregio erweitern. Er will aktuelle Kunstströmungen der Region Aachen - Maastricht - Lüttich und Nordrhein Westfalens zeigen. Veranstaltungen können und sollen in verschiedenen Räumen und Orten in Aachen und Umgebung stattfinden. Die Vereinsarbeit will Kunst öffentlich machen. Die Auseinandersetzung mit Kunst soll gefördert werden. Die Vereinsarbeit ermöglicht Kontakte und Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Kunstinteressierten.

Zur Gründung von Mehrwert gab es bereits einige Kunst- und Museumsvereine in Aachen. Sie alle hatten sich die Förderung der Kunst auf ihre Fahnen geschrieben. Mehrwert versteht sich nicht als Gegeninstitution oder Gegenveranstaltung zum etablierten Kunstbetrieb. Die Motive zur Gründung und das Selbstverständnis von Mehrwert erläutert Eckhard Heck:

"Wir sehen uns auch nicht jetzt als Konkurrenz zu den staatlichen Museen oder ähnliches. Wir wollen einfach auf unsere Weise Kunst zeigen. Natürlich hätten wir den Verein nicht gegründet, wenn wir das Gefühl gehabt hätten, daß die Kunst die wir mögen und die Künstler, die wir gerne zeigen würden, hier in Aachen repräsentiert werden."

55 Mitglieder hat der Verein gut zweieinhalb Jahre nach seiner Gründung. Mitglieder sind: junge Künstler, Designer, Architekten, Ausstellungsmacher und Kunstinteressierte. Die Liste der Veranstaltungen nimmt eine beachtliche Länge ein. Wie sieht der Weg aus, mit dem Mehrwert seine Ziele erreicht? Gregor Jansen:

"Die Grundidee von Mehrwert ist, wie es sich jeder Kunstverein auf die Fahnen schreibt, das Interesse und auch die Vermittlung von Gegenwartskunst, ...einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und dazu gehört es, Exkursionen durchzuführen, sich ständig über Probleme mit der Gegenwartskunst oder überhaupt mit Gegenwartskunst zu befassen. Also in erster Linie standen immer Gespräche, die sind im ersten Jahr von Mehrwert an sich wöchentlich durchgeführt worden. Und daraus entstanden sind Dia-Abende oder Tagesexkursionen zu Ausstellungen, die der MW Verein unter seinen Hut nimmt... Das heißt also, es treten Ausstellungsmacher oder Künstler an uns heran und sagen, wir würden ganz gerne über den MW Verein eine Veranstaltung laufen lassen."

U-Ebertplatz

Die letzte Exkursion im März 1996 führte die Teilnehmer zum archäologischen Museum im belgischen Tongeren. Ausstellungen von bildenden Künstlern der Region finden an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Räumen statt. Mehrwert besitzt außer einem Büro keine eigenen Ausstellungs-Räume. Notwendig ist deshalb eine enge Zusammenarbeit mit anderen Aachener Kulturorganisationen.
Im Autonomen Zentrum oder in einem Aachener Programmkino zeigt Mehrwert Künstlervideos. Highlight im letzten Jahr: die 24stündige Video-Installation "U-Ebertplatz" der Kölner Video-Künstler Heiko Fischer und Thorsten Lohrmann. 24 Stunden lang hatten die beiden Künstler den Alltag der Kölner U-Bahn-Station Ebertplatz auf Video fetgehalten. 24 Stunden in einer U-Bahn-Station. 24 Stunden im Bunker des Autonomen Zentrums - ein angemessener Raum für eine Echtzeitsimulation.
Weitere Video-Vorführungen fanden in einem leeren Kiosk oder in einem Pornokino statt. Diese und andere Veranstaltungen des Vereins haben einen aktionistischen Charakter - Events also, die nicht dem hergebrachten Verständniss von Galerie- und Museumskunst entsprechen.

Holy Bim-Bam

Nicht nur Video-Events und Ausstellungen organisieren die Mitglieder des Vereins. In der Veranstaltungsreihe "Kritische Diskothek" werden Klangerzeugnisse und musikalische Phänomene aller Art präsentiert. Unter dem Titel "Holy Bim-Bam" stellten Weihnachten 1995 zwei DJs Klassiker, Exoten und Verfehlungen des Weihnachtsliedes vor.

Netzkulturen

Aktuelle Kunst soll nicht nur gezeigt werden, es muß auch darüber gesprochen werden. Die Gesprächsreihe unter dem Titel "Netzkultur<en>" bietet dazu Gelegenheit. Zu den Diskussionsveranstaltungen wurden Referenten aus technik- und geisteswissenschaftlichen Fachrichtungen eingeladen. In kurzen Vorträgen erläuterten sie ihre Abeitsweisen und Ansichten zum Medium Internet. Anschaulich wurden die Möglichkeiten des weltweiten Computernetzes durch Online-Vernetzung und Video-Großbildprojektion. Teils euphorisch, teils kritisch diskutierten Referenten und Publikum über das Internet und seine Perspektiven.

Dennoch. Angesichts des Begriffs Mehrwert ist auch über Geld zu reden. Kunst und Kultur kosten Geld. Karl Marx verstand unter Mehrwert die durch menschliche Arbeit geschaffene Wertschöpfung. Diese wurde in kapitalistischen Eigentumsverhältnissen den Arbeitnehmern vorenthalten. Er diente stattdessen zur Bereicherung der Kapitalbesitzer.
Der Mehrwert Verein schafft kulturelle Mehrwerte für die Öffentlichkeit. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich, in ihrer Freizeit. Angesichts der angespannten Lage öffentlicher Kassen ist vorerst kaum mit Unterstützung seitens der Stadt zu rechnen. Sponsorengelder fließen nur spärlich. Zur finanziellen Situation des Vereins meint Eckhard Heck:

"Es ist im Moment so, daß wir uns ausschließlich über unsere Mitgliedsbeiträge finanzieren müssen. Wir haben in diesem Jahr keine Sockelförderung bekommen wie andere Vereine auch. Es werden natürlich immer gerne Gelder angenommen, in jeder Form auch Spenden, oder Gelder und Zuwendungen von Sponsoren. Ja, das hängt auch immer sehr von den Projekten ab, wieviel Geld man halt braucht. Ich denke, daß unsere Ansprüche da sehr unterschiedlich sind, je nach Betätigung, was wir gerade vorhaben. Größere Sachen können wir auf jeden Fall im Moment noch nicht machen. Es ist so, daß wir keine eigenen Räume haben, außer unserem Büro, weil auch eine konstante Ausstellungsfläche für uns einfach zu teuer und nicht finanzierbar ist."

Dennoch: die Arbeit läuft, neue Projekte und Veranstaltungen sind in der Planung. Die Veranstaltungsreihen werden fortgesetzt. Den internen Organisationsproblemen sieht Christian Bracht gelassen entgegen:

"Ja, es läuft mit Höhen und Tiefen, wie ich glaube, immer bei der Kulturarbeit. Der Mehrwert Verein nimmt sich da nicht raus. Der Mehrwert Verein hat eine größere Schwierigkeit dadurch zu bewältigen, weil wir sehr viele Leute sind. Und die einzelnen Leute arbeiten jeweils in ihren kulturellen Sparten, das heißt, es gibt eine Gruppe, die macht mehr Musik, es gibt eine Gruppe, die macht mehr bildende Kunst. Und dies alles unter einen Hut zu kriegen ist sicherlich nie einfach, aber wenn es denn klappt, klopfen wir uns alle auf die Schulter."

Und das kann Mehrwert sich leisten: in der Kulturarbeit stets einen Schritt voraus.

 

Dank an den Kulturserver heimat.de und den Provider Westend GbR für den Zugang zum Netz
Text: Christian Frommert, Gestaltung: 2w
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