30.05.1997 MEHRWERT e.V.
Bachstraße 26, D-52066 Aachen
Tel/Fax ++49-241-536597
e-mail eco@recorder.westend.com
inhalt doku neku Netzkultur<en> I
Bibliophile Manien
Christian Bracht
Kunsthistoriker, FH Aachen

 

Vom Zettelkasten zur Online-Bibliothek:
das Problem der Informationserschließung in alten und neuen Medien

Jede Bibliothek ist nur so gut wie ihr Zettelkasten, bestehend aus einem alphabetischen und einem Sachkatalog. Auch das Internet ist nur so gut wie seine Register und Suchmaschinen. Wegen dieser Familienähnlichkeit zwischen der Bibliothek und dem Internet schlage ich vor, beide Medien auf Kollisionskurs zu bringen. Um meinen Vorschlag zu begründen, werde ich nach einem Ausflug in die Mediengeschichte auf das Problem der Universalbibliothek zu sprechen kommen. Von dort aus will ich zeigen, daß auch im Internet das alte Problem der Informationserschließung in seinen Ausmaßen hinter das Niveau der Bibliothek zurückfällt. Am Schluß wird es um einen Lösungsansatz gehen.

Sobald ein neues Medium entsteht, werden die jeweils älteren Medien nicht verdrängt, sondern integriert. Zu den erw¨nschten Effekten solcher Integration gehört die Verbesserung der kommunikativen Möglichkeiten, zu den unerwünschten Nebeneffekten die Steigerung der sozialen und technischen Voraussetzungen. So war das bei der Entwicklung der beiden wichtigsten Medien, der Schrift und des gedruckten Buchs. Das Internet als neuestes Medium bildet da keine Ausnahme.

In der vor 5000 Jahren erfundenen Schrift und den skriptographischen Medien bewahren sich die Formen und Spielregeln der Mündlichkeit, z.B. der Monolog, der Dialog und das gesprächstechnisch wichtige Prinzip des Nacheinander als das Prinzip der Vermeidung chaotischer Gesprächszustünde. Die Schrift erlaubt es, daß ein und dieselbe Rede sich von ihrem Sprecher löst und unabhängig von ihm zum Adressaten gelangt. Aufgrund der Speicherqualitäten von Papyrus und Pergament brauchen die Adressaten nicht einmal geboren sein. Allerdings ist der Aufwand schriftsprachlicher Kommunikation beträchtlich. Vorhanden sein müssen etwa: Schreibstuben, geschulte Schreiber, Schriftträgermaterial und ein verläßliches Transportsystem. Der Adressatenkreis von Handschriften ist recht klein, da die Möglichkeiten der VervielfUauml;ltigung begrenzt sind durch die Arbeitsleistung der Schreiber.

Die erfolgreichste Abhilfe dieses Problems ist seit 1440 verfügbar, seitdem Johannes Gutenberg mit den beweglichen Lettern den Buchdruck in Marsch gesetzt hat. Das gedruckte Buch integriert nun das alte Medium der Schrift und damit auch den Monolog, den Dialog und das Prinzip der Linearität mündlicher Kommunikation. Aufgrund seiner hochgradig standardisierten Schrift und seiner Auflagenhöhe wird das gedruckte Buch zur begehrten Ware. Es entsteht eine literarische Öffentlichkeit, ein Buchmarkt, ein Verlagssystem, der Beruf des Buchhändlers und ein ausgeklügeltes Verteilungssystem. Nach wie vor aber sind Schriftträger als Speichermedien nicht sehr zuverlässig. Durch Wasser oder Feuer können sie schweren Schaden erleiden, auf dem Transport können sie verloren gehen oder - noch schlimmer - sie können in einer Bibliothek mit schlechtem Zettelkatalog unauffindbar sein.

Das Internet als neuestes Medium hat das Problem der Gefährdung des Datentransports gelöst. Dies war die wichtigste Aufgabe, die das amerikanische Pentagon in den 60er Jahren mit der Entwicklung des ARPANET, dem militärischen Vorläufer des Internet, erledigt sah. Fällt ein Netzknotenpunkt aus, etwa im Fall eines bewaffneten Konflikts, ist der Datentransfer weiterhin gewährleistet.

Doch auch mit dem neuesten Medium hat sich das älteste Problem der Mediengeschichte nicht etwa erledigt, sondern im Gegenteil noch verstärkt. Gemeint ist das Problem der Informationserschließung. Bekannterweise bemißt sich der Wert einer adressierten Information erstens nach der Fähigkeit des Adressaten, mit dem Medium zu kommunizieren, und zweitens nach der Qualität des medialen Erschließungssystems.

 

ja nächster Referent
ja vorheriger Referent

 

Koordinator: Gregor Jansen
Diese Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung durch:
Kulturinitiative Raststätte

Dank an den Kulturserver heimat.de und den Provider Westend GbR für den Zugang zum Netz
Text: Christian Bracht, Gestaltung: 2w
[map]